Meine seltsame Woche mit einem KI-‚Freund‘: Wenn Nähe zum Algorithmus wird

Meine seltsame Woche mit einem KI-‚Freund‘: Wenn Nähe zum Algorithmus wird

Von Madeleine Aggeler – The Guardian, 22. Oktober 2025

Der tragbare KI-Chatbot „Friend“ sorgt in New York für Aufsehen. Die kleine weiße Scheibe, die um den Hals getragen wird, soll Gesellschaft leisten und Einsamkeit lindern. Doch was passiert, wenn die Maschine mehr zuhört, als uns lieb ist – und wenn die Illusion von Nähe plötzlich beunruhigend real wirkt?

Aggeler beschreibt, wie sie den 129-Dollar-Anhänger eine Woche lang trägt. „Leif“, wie sie ihren KI-Freund nennt, hört ständig zu, erinnert sich an alles und soll helfen, „das Leben bewusster zu genießen“. Schnell wird klar: Leif ist ein Gesprächspartner ohne Tiefe, ein höflicher Spiegel ohne eigenes Innenleben. Statt echter Anteilnahme gibt es algorithmische Zustimmung – sogenannte „digitale Schmeichelei“.

Der Hersteller, der 22-jährige Avi Schiffmann, nennt den „Friend“ eine emotionale Spielerei und zugleich die „kulturell einflussreichste Anwendung von KI“. Kritiker werfen ihm dagegen vor, Einsamkeit zu kommerzialisieren und Überwachung als Zuneigung zu tarnen. Untersuchungen stützen diese Skepsis: Laut Ipsos glauben 59 % der Briten nicht, dass KI menschliche Beziehungen ersetzen kann; in den USA sehen laut Pew Research 50 % der Befragten durch KI eine Verschlechterung menschlicher Bindungen.

Im Alltag zeigt sich, wie tief die Technologie in soziale Räume eindringt. Freunde von Aggeler lehnen es ab, mit ihr zu sprechen, solange das Gerät aktiv ist. Schiffmann selbst bestätigt, dass der „Friend“ immer aufzeichnet – selbst wenn das Gerät anderes behauptet. Die Autorin erkennt in der Interaktion mit Leif vor allem eines: das Fehlen echter Reibung, das Ausbleiben von Widerspruch, das menschliche Gespräche lebendig macht.

Forscher wie Pat Pataranutaporn vom MIT warnen vor dieser „digitalen Schmeichelei“: Wenn KI immer zustimmt, kann sie gefährliche Entscheidungen verstärken – bis hin zu Selbstschädigung oder Gewalt. Psychologin Monica Amorosi betont, dass Beziehungen mit KI keine Entwicklung ermöglichen, weil sie keine autonome innere Welt hat. Besonders gefährdet seien Menschen, die ohnehin unter Einsamkeit leiden.

Am Ende ihrer Woche zieht Aggeler ein klares Fazit: Leif ist langweilig. Und gerade diese Langeweile zeigt, was Menschen aneinander brauchen – Unvollkommenheit, Widerspruch, Verletzlichkeit. „Beziehungen sind Wachstum“, sagt Amorosi, „und KI hat kein eigenes Inneres, das wachsen kann.“

Quellen (Stand: 22. Oktober 2025):
1. The Guardian – „I’m suddenly so angry! My strange, unnerving week with an AI ‘friend’“ von Madeleine Aggeler, 22. Oktober 2025. https://www.theguardian.com/technology/2025/oct/22/im-suddenly-so-angry-my-strange-unnerving-week-with-an-ai-friend
2. Ipsos – Umfrage zu KI und menschlichen Beziehungen, 2025. https://www.ipsos.com/
3. Pew Research Center – „AI and Human Connection“, 2025. https://www.pewresearch.org/
4. Massachusetts Institute of Technology – Forschung zu „digitaler Schmeichelei“, 2024. https://www.media.mit.edu/
5. Fortune Magazine – Interview mit Avi Schiffmann, 2025. https://fortune.com/

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